Rätselbild & Dorfgeschichte(n)

Auf dem Rätselbild des Monats März haben wir nach unserem ersten Vorsitzenden in jungen Jahren gesucht. Unter den Jungs der wackeren A-Jugend-Truppe ist nämlich auch Gerhard Biehl, der damals eine tragende Säule im Team war. Na, wenigstens durfte er beim Mannschaftsfoto den Wimpel tragen …. Gerdi ist der Langhaarige – schlechte Beschreibung, denn langhaarig waren sie schließlich alle -, der Zweite von links neben Betreuer Johannes Gross mit dem Wimpel in der Hand. Erkannt? Eine richtige Lösung ist auch eingegangen und sie kam von weit her: Hans-Thilo Aßmann, ehemaliger Herleshäuser und seit langem mit Wohnsitz in der Schweiz, hat ihn erkannt und die richtige Lösung per Mail geschickt. Glückwunsch!

Und hier kommen die Namen aller Mannschaftskameraden, die auf dem Foto zu sehen sind – SG Südringgau, A-Jugend-Kreismeister 1974:

Obere Reihe (v.l.): Johannes Gross, Gerhard Biehl, Diethelm Handke, Günter Pippinger, Hans-Jürgen Rauschenberg, Peter Rimbach, Hartmut Jäckel, Detlef Srba und Hans-Peter Biehl. Hockend (v.l.): Norbert Handke, Hellfried Reinemann, Burkhard Gonnermann, Jürgen Buchenau, Gunnar Seeger, Rainer Rimbach, Erhard Ebeling und Wieland Handke.

Dorfgeschichte(n) – 1

Gerhard Biehl, dessen Haarpracht zehn Jahre später nicht mehr ganz so wild war, hat eine Anekdote von Mitte der 1980er Jahre aufgeschrieben, in der u.a. auch ein Wimpel vorkommt. Ein Kurzfassung davon wurde bereits in der Werra-Rundschau veröffentlich. Wir präsentieren hier seine ungekürzte Version. Das Lesen lohnt sich, auch wenn´s einen Moment dauert. Noch schöner ist es aber, wenn Gerdi diese Story zu vorgerückter Stunde an irgendeinem Tresen zum Besten gibt – in seiner ureigenen Art, versteht sich -, aber das wird ja wohl leider so schnell noch nicht möglich sein. Deshalb hier in schriftlicher Form, aber in seinen Worten:

„Ein anderes Fußballspiel“

(von Gerhard Biehl)

Nach Kriegsende und der Teilung Deutschlands wurden nicht nur Familien auseinandergerissen, sondern auch jahrzehntelange Sportverbindungen zerschlagen. Dies betraf auch meine Familie und meinem Heimatverein, den TSV 1869 Herleshausen e.V. Wir in Herleshausen waren ortsbedingt eigentlich mehr nach Thüringen als dem damaligen Kreis Eschwege zugewandt.

Mit dem Einmarsch der Sowjetsoldaten im Juli 1945 in Thüringen verließ auch mein Vater mit meiner Mutter und zwei Brüdern die nun sowjetisch besetzte Zone und zog zurück in seinen Heimatort Herleshausen. Der Rest der Familie blieb in Thüringen, und es war selbstverständlich, dass es in den nächsten 40 Jahren zu regelmäßigem Verwandtenbesuch kam.

Im Sport kam es Ende der 1940er Jahre sowie den 1950er Jahren noch zu Begegnungen. Die sogenannten „Interzonenfreundschaftsspiele“ wurden noch ausgetragen, doch um diese zu organisieren, mussten hohe Hürden gemeistert werden. Nicht selten wurden diese Freundschaftsspiele, oft ohne Begründung, kurzfristig abgesagt. Wollten die Sportler aus Herleshausen an einem geregelten Wettkampfbetrieb teilnehmen, so blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich dem damaligen Altkreis Eschwege zuzuwenden.

Die Vereine in und um Eschwege waren nicht so erfreut, und so erschien in der Werra-Rundschau am 07.02.1948 folgender Artikel:

Sport auf dem Ringgau
„Während man in der Kreisstadt kaum weiß, wo und wie die einzelnen Ringgaudörfer liegen, geschweige denn, wie man sie erreicht (wenn man Glück hat und ein guter Boxer ist, einmal täglich mit einer zweistündigen Omnibusfahrt), fühlen sie sich zum Sportkreis Eschwege gehörig. In mühseliger Kleinarbeit – es fehlte an allem, von der Sporthose angefangen bis zu den Fußballschuhen und Bällen – brachten die Vereine ihre elf Mann für ein Fußballspiel zusammen, das als Grundlage für weitere sportliche Betätigung dienen sollte. Es ist heute nicht mehr so, dass die Ringgaulandvereine nur Fußball „bolzen“ könnten. Erstens sind die meisten auf dem besten Wege zum „Spielen“, und zweitens sind fast alle Ringgauvereine aktiv dabei, auf allen Gebieten eine Breitenarbeit zu leisten. Wir werden hoffentlich recht bald mehr davon berichten können.“

Mit dem Mauerbau 1961 kam es im Amateurbereich nur noch ganz selten, eigentlich gar nicht mehr, zu Freundschaftsspielen zwischen Mannschaften aus Hessen und Thüringen. Fußballbegeistert war man im Osten wie im Westen. Spielte bei diesen Verwandtenbesuchen „Aufbau Hötzelsroda“ zu Hause, wurden natürlich auch diese Spiele verfolgt.

Im Januar 1984 feierte meine Mutter ihren 60. Geburtstag. Mein Onkel war zu der damaligen Zeit als „Sektionsleiter“ (Abteilungsleiter) im Fußball bei „Aufbau Hötzelsroda“ tätig, und er bekam die Genehmigung der DDR-Behörden, zu diesem Anlass in den Westen zu reisen. Bei den Feierlichkeiten wurde selbstverständlich über Fußball und ein Freundschaftsspiel zwischen der SG Herleshausen/Nesselröden und „Aufbau Hötzelsroda“ gesprochen und nachgedacht.

Das wäre ein internationaler Vergleich bzw. Spiel, das bekommen wir nie genehmigt. Wenn doch, werden die Euch einen höherklassigen Gegner vorsetzen, damit ihr richtig die Hucke vollbekommt“, waren seine Worte zu dem Thema.

Wir ließen nicht locker! Wie wäre es, mit einer „Familienmannschaft“ gegen „Aufbau Hötzelsroda“ zu spielen? Notgedrungen, aber schon damals skeptisch, musste er zustimmen. Nun wurde diese Idee, dieser Vorschlag, organisiert und umgesetzt.

Für Pfingsten 1984 wurden die Einreisegenehmigungen in die damalige DDR eingeholt. Ausgerüstet mit einem Fass Bier, einem Wimpel der SG Herleshausen/Nesselröden und einem Tangoball – der Ball wurde erstmals bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1978 in Argentinien und anschließend mit leichten Veränderungen als Tango Italia bei der Fußball-Europameisterschaft 1980 in Italien verwendet – fuhren wir nach Hötzelsroda. Fußballschuhe sowie Trikots wurden nicht mitgenommen, um nicht schon bei der Einreise aufzufallen. Diese Utensilien besorgte mein Onkel vor Ort.

Leider, aber auch im Nachhinein zu Recht, hatten einige Spieler aus Hötzelsroda Bedenken, und so bekam der Gastgeber nur eine gemischte Mannschaft aus Altherren- und Seniorenspieler zusammen. Der „Klassenfeind“ lief mit fünf Brüdern, einem Schwager, einem Freund meiner Nichte sowie Onkel und drei Cousins aus dem Osten auf. Am Pfingstsamstag wurde gespielt, mit einem geprüften Schiedsrichter und Ball- bzw. Wimpel-Übergabe.

Nebensächlich ist zu erwähnen, dass der „Klassenfeind“ das Spiel mit 7:3-Toren gewann!

Nach dem Duschen wurde zünftig (mit allen Teilnehmern) im Garten meines Onkels bei einer Grillfete gefeiert. Die „Westler“ spendierten das Bier und die „Ostler“ steuerten Sekt, Wein und den bekannten „Goldbrand“ sowie den „Nordhäuser Doppelkorn“ zu dieser Feier bei. Die dritte Halbzeit muss so verlockend gewesen sein, dass sich zu später Stunde noch eine Hochzeitsgesellschaft der Nachbarschaft der Feier anschloss.

Ein wenig naiv waren im Nachhinein aber alle Beteiligten. Es muss sich wie ein „Lauffeuer“ im Eisenacher Raum herumgesprochen haben, dass es in Hötzelsroda zu einem innerdeutschen Vergleich im Fußball gekommen ist. Die „Stasi“ hatte überall ihr Ohr und ihre Augen. Wir bekamen dies bei der Ausreise am Pfingstmontag mit einer besonderen Kontrolle am Grenzübergang Wartha zu spüren. Auch mein Bruder, der zur damaligen Zeit Busfahrer des „Kleinen Grenzverkehrs“ war, wurde noch lange Zeit später auf dieses wichtige „Europacup-Spiel“ am Grenzübergang angesprochen.

Den größten Ärger aber hatte mein Onkel. Er wurde in seinem Betrieb am Dienstag vernommen, wie er dazu käme, einen internationalen/innerdeutschen Vergleich zu organisieren und austragen zu lassen? Er muss einige Repressalien bekommen haben, denn es wurde in den nächsten Jahren nicht mehr viel darüber gesprochen. Die Funktion als Sektionsleiter Fußball musste/wollte er anschließend abgeben.

Unser Fazit lautete: Spiel gewonnen und anschließend eine Super-Fete veranstaltet.

Fazit der Ostteilnehmer: Spiel verloren, Wimpel und Tangoball waren verschwunden. Das Bier konnte zum Glück nicht mehr konfisziert werden. Einige haben auch Ärger wegen der Teilnahme bekommen, aber auch sie hatten eine schöne Feier.

Gerhard Biehl

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