Festgottesdienst

Arbeitskreis Stehender Festzug Lebendige Dorfgeschichte(n)

von Anette Wetterau

Dankbar können wir Herleshäuser auf eine gelungene Festwoche zurückschauen. Viele glückliche Menschen konnten wir am Festwochenende erleben, sei es an den zwei Tagen im stimmungsvollen Festzelt, am Himmelfahrtstag oder am Festsonntag zum stehenden Festzug. Dank vieler Helfer und noch mehr Ideen konnte sich unsere Gemeinde der Öffentlichkeit gut präsentieren. Alles war selbstgemacht, ein Stück von uns. Alleinstellungsmerkmale wollten wir herausarbeiten, Begegnungen ermöglichen und Nachhaltigkeit erlangen – es ist uns geglückt und der Himmel hat uns den Sonnenschein dazu geschickt.

Oft stellten wir uns in der Vergangenheit die Frage: Wer sind wir Herleshäuser? Wir konnten sie nie richtig beantworten, sind wir doch als Ort zu groß, um uns mit einem Begriff zu beschreiben.

Der rote Faden der Festpredigt von Pröpstin Wienold-Hocke im Himmelfahrtsgottesdienst hat uns eine mögliche Antwort aufgezeigt.

Im Nachklang können wir sie noch einmal lesen:

Predigt zum Gottesdienst an Himmelfahrt 2019

In der Burgkirche Herleshausen am 30. Mai 2019

Zum 1000 jährigen Jubiläum des Dorfes

Liebe Gemeinde aus Herleshausen und liebe Gäste,
liebe Schwestern und Brüder,

1000 Jahre Herleshausen – zu einem solchen Jubiläum war ich noch nie eingeladen.  Ich habe mich sehr über die Einladung gefreut. Herleshausen ist immer ein schönes Ziel, mit  seiner stolzen Burgkirche, in der so musikalisch und festlich Gottesdienst gefeiert wird, mit dem Schloss und  den Fachwerkbauten. Allein der Blick aus dem Wohnzimmer des Pfarrhauses ist eine Reise wert, ganz zu schweigen von den Ortsteilen mit ihren Kirchen, zuletzt war ich im gastfreundlichen Nesselröden. Aber ich freue mich  schon auf die Reise hierher,  die Fahrt durch die Wälder und Berge, bis hin zum Werratal.   Mit der Aussicht steigt die Laune, und die Seele atmet auf. Hier kann man wohnen, denke ich immer wieder, und  Wurzeln schlagen unterm weiten Himmel. Ein Geschenk Gottes ist diese schöne Heimat, mir hilft sie glauben in einem schlichten Danke.

1000 Jahre sind ein guter Anlass für einen Gottesdienst, der  dieses Danke sagt und singt, und für ein echtes Heimatfest. In manchen Ohren mag Heimatfest altbacken klingen – ich sage das mit Bedacht,  weil ich es  wichtig finde, dass wir Heimat pflegen und feiern, in einer Welt, in der alles zugleich erreichbarer und unübersichtlicher, ja, unverbindlicher wird. Heimat ist der Ort, an dem ich dazu gehöre, der zu mir gehört, verbindlich und verbunden.  Ein Ort, an dem so Viele ein Fest zusammen vorbereiten, kann ein gutes Zuhause sein.

1000 Jahre Geschichte gehören dazu, die Erinnerung an die  Geschichte und die Menschen, die den Ort prägen. Ein recht verstandenes Jubiläum ehrt sie,  und verklärt sie nicht. verklärt. 688 Seiten einer Festschrift hat mir Pfarrerin Siebert übergeben.  Viele Autorinnen und Autoren haben sehr genau hingeschaut.  Zuerst habe ich mich in der Chronik der evangelischen Kirchengemeinde festgelesen, fasziniert davon, wie  sich Kirche gewandelt hat und wie ihre Geschichte mit den 1000 Jahren Ortsgeschichte verwoben ist.

Von braven Protestanten habe ich gelesen:  im 16. Jahrhundert hat die evangelische Gemeinde ihr Brauhaus verkauft, weil man auch in der Synode in Kassel meinte, es sei nicht schicklich, das eine evangelische Gemeinde Bier braut.

Von   aufmüpfigen, renitenten Pfarrern habe ich aber auch gelesen, die sich wehrten, als der Landgraf den Gottesdienst reformieren wollte. Nur, weil er Landgraf ist,musste er noch lange nicht im Recht sein – Charakterköpfe gehören hier zur Gegend.

Dann wieder wird selbstkritisch berichtet, dass man zur falschen Zeit geschwiegen hat. Kein Wort von der Kirche gegen die Judenverfolgung! Von der Gleichschaltung des evang. Kindergartens und seiner Erneuerung nach dem Krieg ist auch die Rede..

Die Gemeinde war ganz vorn, was die Rolle von Frauen als Pfarrerinnen angeht. Eine der ersten Gemeindepfarrerinnen, Erika Giem, hatte in den 60er Jahren die Pfarrstelle am Ort. Die Geschichte der Chöre ist hoch interessant, denn sie zeugt von Kultur- und Gemeinschaftsleben.

 Wie hilfsbereit diese Gemeinde immer wieder Flüchtlinge aufgenommen hat!  Flüchtlinge, die über die deutsche Grenze kamen, wurden mit trockener Wäsche empfangen hat, aber auch Menschen aus Afghanistan und Syrien. Die 2015 kamen, haben hier „vielsaitig“ musiziert, das haben Sie wahrscheinlich auch noch im Ohr.

Ich bin fremd gewesen, und ihr habt mich aufgenommen, sagt Jesus. In Herleshausen hat er offene Türen gefunden.

Viel Stoff für den Gottesdienst ist in dem Jubiläum, für Dank, aber auch für nachdenkliche Bitte um Versöhnung,  und es gibt uns viele gute Gründe, voll Hoffnung auf die Aufgaben der Zukunft zu schauen.

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Nun feiern wir heute aber auch noch Himmelfahrt.

Seit Jahren bin ich  das erste Mal Himmelfahrt in einer Kirche. Himmelfahrt ist  ein Pilgerfest geworden. Wir machen uns auf aus unserem Alltag und den Räumen.  Gottesdienst im Freien passt, denn wir erinnern an Himmelfahrt daran, dass Jesus die Erde verlässt. Er geht zu Gott.  Christus übersteigt alle Grenzen von Zeit und Raum. Himmelfahrt ist schwer zu glauben, wenn ich es mir vorstelle wie „ beam me up, Scotty“-  Es hilft mir glauben, wenn ich höre und spüre: unter Gottes weitem Himmel, überall und zu jeder Zeit sind wir mit Christus verbunden. Der Himmel ist offen.

Wie  passen jetzt diese Feste zusammen – der  offene Himmel und  das Zuhause in Herleshausen?

Der Bibeltext, der für heute vorgeschlagen ist, baut eine Brücke.

Wir reisen nach Jerusalem. Dort ist ein riesiges Gotteshaus gebaut worden: König Salomo weiht den Tempel mit einem Gebet.

  1. Könige 8 22Dann trat Salomo vor den Augen der ganzen Gemeinde Israel vor den Altar des HERRN, breitete die Arme zum Himmel aus  23 und betete:

»HERR, du Gott Israels! Weder im Himmel noch auf der Erde gibt es einen Gott wie dich. Du stehst zu deinem Bund und erweist deine Güte und Liebe allen, die dir mit ungeteiltem Herzen dienen.  

26 Gott Israels, lass doch in Erfüllung gehen, was du meinem Vater David, deinem Diener, versprochen hast!

27 Aber  sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Kann dich doch der ganze weite Himmel nicht fassen – wie sollte es diese Haus tun, das ich gebaut habe.  

28 HERR, mein Gott! Achte dennoch auf mein demütiges Gebet und höre auf die Bitte, die ich heute vor dich bringe:

Sollte Gott wirklich auf Erden wohnen?

Das ist ein doppeltes großes Staunen und Fragen.

Gott ist größer, als wir uns das vorstellen können.

 Gott ist nah, lässt sich hören und hört auf uns.

Ja, Gott wohnt unter uns. Gott bindet sich an  die, die sich auf ihn verlassen.

Er ist überall, wo  Menschen beten.

Bei Gott haben wir Heimat und offene Grenzen.

Davon kann Herleshausen, Stadt an der Grenze, ein Lied singen.

 Alle, die ihn erlebt haben, erinnern sich sehr genau an den 9. 11. 1989. Die  tödliche, hoch bewaffnete Grenze wurde ohne Gewalt überwunden,  kampflos geöffnet. Mit Kerzen und Gebeten hatten sich die Menschen in Ostdeutschland dafür eingesetzt.

Ein Wunder. Das Wunden heilt.

 Eine kleine Wunder -Szene wird im Buch beschrieben. Nach der Grenzöffnung steht ein unruhiger junger Mann im Gemeinschaftshaus in Herleshausen. Auf die Frage: kann ich ihnen helfen? sagt er:“ Ja, bleiben Sie mal ganz ruhig stehen.“

So wird weiter erzählt: Dann fällt er mir um den Hals und fängt an zu weinen. „Danke, das hat gut getan. Ich wusste nicht wohin mit meiner Freude.“

Eine offene Grenze und ein offener Himmel, Menschen, die in ihrer Heimat Brücken bauen statt abreißen.

Dass Gott unter uns wohnt und wirkt- mir sind die Partnerschaften mit Frankreich, die nach dem Krieg entstanden sind, ein  bewegendes Beispiel dafür.

( Vom Bürgermeister Fehr in Herleshausen habe ich gelesen, dass er seiner Frau bei einer Reise nach Frankreich nicht erklären konnte, „ warum wir uns im Krieg gegenseitig totgeschossen haben“ – und  vom Bürgermeister und Kriegsteilnehmer in Cléder, der auch sehr persönlich die Versöhnung wollte. )

 Solche Begegnung war ein riesiger Schritt, in den 60er Jahren. Man muss sich vorstellen, dass Mütter Fremde in Ihre Häuser aufnahmen, deren Söhne von ihrem Volk umgebracht worden waren. Man lernte sich kennen und schloss Freundschaften. Dass heute so selbstverständlich Schülerinnen hin und her fahren, zusammen lernen, feiern, sich verlieben – das dient  dem Frieden und ist ein Wunder Gottes, mit dem die damaligen Bürgermeister  anfingen.

Gott wohnt da, wo Menschen Feindschaft überwinden und in andern die Gotteskinder sehen.

Beeindruckendes Zeugnis dafür ist ein weiteres kostbares Erbe, das in Herleshausen gepflegt wird.

 Der Friedhof der russischen Kriegsgefangenen.  Es war ein anderer Bürgermeister, Karl Fehr, der schlicht und unbestechlich gesagt hat: wer in meiner Gemeinde stirbt, wird ordnungsgemäß registriert und anständig beerdigt. Weil er auch eine Mutter hat, die ihn liebt….ob Deutscher, Franzose oder Russe. Damit hat er ein Zeichen für Menschlichkeit gesetzt und Angehörigen einen Ort für ihre Trauer gegeben. Ich glaube, wer Stolpersteine verlegt, setzt genau diese Tradition  fort.  Wir erinnern uns an Menschen, an ihre Namen und Gesichter.  Der Friedhof hat eine weite Ausstrahlung von Herleshausen aus und fördert die Versöhnung.

 Wo wir im Andern, auch im Fremden, den Menschen sehen, da wohnt Gott. Der Segen des orthodoxen Priesters und das Gebet des Imam für diesen Friedhof und die Verstorbenen bestärken das, über die Grenzen von Religion hinweg.

 Gott wohnt, wo sich Herzen und Türen öffnen.

Auch in der Baugeschichte des Schlosses habe ich das  entdeckt.  Wie dort der Seele dieses Bauwerks nachgegangen wird,  wie Menschen das reiche kulturelle Erbe mit Respekt für die kommenden Generationen bewahren, wird dort beschrieben. Wo Schloss Augusta „ in das Ortsgeschehen eingebunden und geöffnet wird,“ wirkt es  verbindend und verbindlich, gibt Heimat und entfaltet seinen  Segen.

Hier, unter uns, will Gott wohnen.

Liebe Herleshäuser,

Jetzt müsste ich unbedingt noch aus der Geschichte Ihrer Kirche erzählen,  aber auch die Apotheke und die Raiffeisenbank und die israelitische Volksschule sind Orte, an denen Gottes Menschlichkeit sich zeigt. 1000 Jahre und 688 Seiten sind viel!  –   zu viel. Sie können für jetzt  aufatmen und, bitte,  weiter lesen, im stehenden Festzug erkunden, und selbst erzählen.

Ich will nochmal zur Bibel zurückkommen.

Nachdem Salomo gestaunt hat: Sollte Gott hier wohnen?

Spricht er weiter: Gott, hör mein Gebet. Das Gebet für mein Volk und meine Stadt.

Gott wird da sein, auch in Zukunft.

Wo wir beten und Gottesdienst feiern.

Wo wir leben mit Respekt vor Gottes Schöpfung und den Menschen.

Mit offenen Augen und Händen. Versöhnungsbereit.

Ökumenisch. Unterm gemeinsamen Himmel.

Fröhlich, weil er aufgeht.

Das wäre doch wunderbar, das ist doch möglich:  dass in den nächsten Tagen diese und jener unbedingt mal still stehen muss, für eine Umarmung- damit alle wissen, wohin mit ihrer Freude.

Möge das Fest gelingen.

Dass Christus dabei ist, erbitten wir,

und Himmelfahrt hilft uns, darauf zu vertrauen.

Amen.

Und Gottes Friede, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre uns Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Katrin Wienold-Hocke, Pröpstin

 

Fotos von Klaus Gogler

 

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